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Die Villenkolonie in Niederpöcking

Häuser und ihre Bewohner am Starnberger See

Die Villenkolonie in Niederpöcking

Zu den Starnberger Mussinan-Villen heißt es in der Chronik der Familie: „Die Mussinans, ursprünglich aus Italien stammend, waren zu Beginn des 19. Jahrhunderts nach Bayern gekommen und hatten sich als Kaufleute in München niedergelassen. Oskar Mussinan … kaufte … sich 1872 ein etwa 10.000 qm großes Grundstück längs des westlichen Seeufers … in welchem eine ansehnliche Villa lag, …“. Zwanzig Jahre zuvor hatten wenige Kilometer südlich Bauherren aus der gehobenen Schicht des Münchner Bürgertums die Villenkolonie in Niederpöcking gegründet, allen voran der Großkaufmann Angelo Knorr (1820–1872).

„Welsche“ Kaufleute in München

Wie die Vorfahren Mussinans stammte Knorrs Großvater, Angelo Sabbadini (1753–1837), aus Italien. 1767 war er aus Pavia nach München gekommen, um eine Kolonialwarenhandlung zu eröffnen, denn der Bedarf an exotischen Waren wie Kaffee, Tee, Seide, Wein, Südfrüchten und Gewürzen war am Hof in der Residenzstadt und bei den wohlhabenden Bürger groß. Bald beschwerten sich die heimischen Kaufleute über die „welsche“ Konkurrenz, weil „jedes zweite Handelshaus einen italienischen Namen wie Dall‘Armi, Ruffini, Pascilini usw. trage“.
1781 eröffnete Angelo Sabbadini in der Kaufinger Gasse Nr. 12 ein großes Kaufhaus und wurde, da er reichlich Steuern zahlte, in die ehrbare Riege der Magistratsherren aufgenommen. 1825 übernahm er die Leitung des Utzschneiderbräus. Seine einzige Tochter Elise (1791–1866) heiratete Ludwig Knorr (1783-1852), der bei ihrem Vater 1795 im Handelskontor als Lehrling begonnen hatte und seit 1820 dort Buchhalter war. Der Reichtum des Schwiegervaters ermöglichte Ludwig Knorr den wirtschaftlichen Aufstieg. 1838 gründete er mit anderen zusammen die Bayerische Hypotheken- und Wechselbank. Seinen Kindern  hinterließ er das im Laufe seines Lebens verdoppelte Sabbadinische Vermögen, darunter eines der größten Münchner Handelshäuser, eine Brauerei, einen Zeitungsverlag („Münchner Neueste Nachrichten“) und Häuser an der Briennerstraße (heute Luitpoldblock).

Das Knorr-Schlössl

Während die Großeltern und Eltern nach Aufbauen und Vermögen schaffen trachteten, war der Sinn der Erbengeneration auf Ausgeben und Genießen gerichtet. Der älteste Sohn, Angelo Knorr, beim Tode des Vater 32 Jahre jung und schwerreich, kaufte 1852 sofort vom Starnberger Wirt Pellet 8,3 Hektar Grund, der an den nördlichen Teil des Possenhofener Schlossparks anschloss und später weiteren Grund hinzu, so dass er 1866 18,5 Hektar mit einer Uferlänge von fast 850 m besaß. Vom Stadtbaurat Arnold Zenetti (1824-1891), mit dem er durch die Heirat von zwei seiner Schwestern verwandt war, ließ er sich eine Villa im italienischen Stil entwerfen. Deren dekorative, ganz in Gusseisen konstruierte Einheit von Veranda und Balkon war einerseits von der in München noch ganz neuen Eisenkonstruktionen des Glaspalastes und der Schrannenhalle beeinflusst, der repräsentative, beigestellte Belvedereturm, der auch das Treppenhaus enthält, geht andererseits auf die frühe Landhausarchitektur am Starnberger See zurück, wie beispielsweise der pompejanischen Villa auf der Roseninsel. In den neuen Villenkolonien am Starnberger See wurde Zennetti zum angesagten Architekten für den Münchner Freundeskreis. So baute er die Villen für den Hofopernintendanten Karl von Perfall, den Erzgießer Ferdinand von Miller, den Maler Moritz von Schwind und andere.

Villa von Miller, Niederpöcking
Villa von Miller, Niederpöcking

Feste feiern, wie sie fallen

Die Niederpöckinger Sommerfrischler müssen lebenslustig, festesfroh und gerne etwas närrisch gesellig gewesen sein, sie besuchten sich ständig und hatten viele Gäste. Ein Sohn des Erzgießers Ferdinand von Miller erinnerte sich später: „Oft mussten die zwei Schwestern und wir Brüder auf Holzbänken und in Hängematten übernachten, um den unerwartet eingetroffenen Freunden Nachtlager in dem Haus zu geben ...“.  Angelo Knorr war Mitglied des Münchener Harbni-Ordens, eines Geselligkeits-Vereins wider den tierischen Ernst, der spielerisch mittelalterliches Ritterleben pflegte und bis 1981 bestand. Die Mitglieder aus der Oberschicht der königlich-bayerischen Residenzstadt, Professoren, Künstler, hohe Beamte und Offiziere, Kommerzienräte, Medizinalräte, brachten zum Gaudium des geladenen Publikums mit großer Hingabe selbst verfasste Theaterstücke zur Aufführung, gaben sich Ritter-Namen und sprachen sich damit auch an. Im Album „Der Harbni-Ritterfahrt nach Starenberg“ von 1862 ist Angelo Knorr als „Angelo von Rottenbuch“ eine aquarellierte Bleistiftzeichnung mit den Häusern der Niederpöckinger Kolonie gewidmet.  
Wechselvolle Geschichte
132 Jahre blieb das Knorr-Schlössl, das seit 1978 unter Denkmalschutz steht, in Familienbesitz. Nachdem 1873 die Witwe Elisabeth - genannt Betty – Knorr das Anwesen übernommen hatte, erbte es 1900 ihr Sohn, Geheimrat Professor Dr. Ludwig Knorr, der mit einer Tochter des Malers Piloty verheiratet war und als Chemiker 1884 das erste synthetische Schmerzmittel „Antipyrin“ gefunden hatte. Nach seinem Tod stand die Villa zunächst leer. 1925 zog das Pensionat für höhere Töchter „Buchenhain“ in die Gebäude ein, im früheren Speisesaal der Villa fanden jetzt Hauskonzerte statt und im Schloss Possenhofen der Reitunterricht. 1942 schlossen die Nationalsozialisten das Mädchenpensionat und nutzten es während des Krieges als Heim für die Hitlerjugend. 1946 wurde durch den Gynäkologen Dr. Walter Knorr (1888 - 1950) eine private Frauenklinik, danach ein Restaurant „Kalinka“ mit russischer Küche eingerichtet. Der Urenkel Angelos, Alexander Knorr, fand 1988 in dem Münchner Chemiker Dr. Michael Roever einen Käufer für die in die Jahre gekommenen historischen Gebäude und das nach Erbteilungen knapp 1,4 Hektar große, um die Villa erhalten gebliebene Gelände. Seit Februar 1990 werden Villa und Remise nach umfangreichen Renovierungs- und Umbauarbeiten unter der Obhut des Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege als Tagungs- und Veranstaltungshotel „La Villa“ betrieben.