Villa Kustermann in Tutzing
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Nicht erst heute spielt die Frage der Verkehrsanbindung eine mitunter entscheidende Rolle. Eher noch bedeutender war dieser Punkt vor der Erfindung des Automobils. Und so ist die Entwicklung des Villenbaus am Starnberger See engstens mit dem Eisenbahnbau verbunden: 1854 wurde die Bahnlinie bis Starnberg eröffnet, elf Jahre später fuhr der erste Zug nach Tutzing. So wurde vor allem das nördliche Westufer zwischen Starnberg und Tutzing zum Ziel künftiger Villenbesitzer, wenn sie sich auf die Suche nach einem Grundstück begaben. Endlich war die mühselige Kutschenzeit vorbei!
Einer der ersten, der diese Chance sah und wahrnahm, war Max Kustermann. Der erfolgreiche Unternehmer stammte aus einer im Eisenwarenhandel tätigen Münchner Familie. Er hatte eine Eisengießerei gegründet, die dank der Begeisterung der Epoche für das Material Gusseisen äußerst erfolgreich war. Balkone, Balustraden, Fenster- und Türbeschläge, Säulen mit antiken Kapitellen und Gartentore wurden bevorzugt aus diesem Material gestaltet. Reste dieser Mode sieht man etwa an Bahnhöfen mit ihren gusseisernen Säulen.
Schon während des Baus der Bahnstrecke, plante Kustermann sein künftiges Landhaus. Er erwarb 28 Tagwerk Grund im noch völlig unverbauten Süden Tutzings und ließ dort eine der großzügigsten und elegantesten Villen am Starnberger See errichten: ein klassizistisches Gebäude auf kreuzförmigem Grundriss mit Zierelementen aus der italienischen Renaissance. Am Nordrand des weitläufigen Parks ließ Kustermann wie auch andere Villenbesitzer jener Zeit Wirtschaftsgebäude errichten, die später teilweise zu einem zweiten Landhaus umgestaltet wurden.
Seit den frühen 1970er-Jahren gehören Villa und Park der Gemeinde Tutzing, die hier zunächst eine Schule bauen wollte. Bürgerprotest, die Gründung eines Förderkreises zur Erhaltung des Ensembles bewirkten ein Umdenken: Die Villa wurde vermietet, der Online-Marktführer für antiquarische Bücher - das Zentrale Verzeichnis Antiquarischer Bücher - ist hier zuhause. Der einst vernachlässigte Park, für dessen Planung Kustermann den auch für Schloss Linderhof zuständigen Hofgartendirektor Karl von Effner herangezogen hat, wird seit 2001 wieder nach alten Beschreibungen, Plänen und Fotos in seiner alten Schönheit hergestellt. Er ist, bis auf einen Garten rund um die Villa, jederzeit für die Öffentlichkeit zugänglich und lädt zu Spaziergängen am Seeufer ein.