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Zunftstangen

Geschnitzte Zunftstangen bei der Fronleichnamsprozession in Dießen

2019 06 Prozessionsstangen
Zunftstange der Kaufleute

Fronleichnam ist einer der besonders illustren katholischen Festtage. Dem obligatorischen Gottesdienst schließt sich eine Prozession an, bei der die Monstranz mit dem Allerheiligsten unter einem Baldachin von einem Priester an vier verschiedene, im Ort verteilte Altäre getragen wird. Dort wird jeweils ein Evangelium gelesen. Dem Zug schließen sich Männer, Frauen, Kinder an, Vereine sind in ihrer Tracht dabei und sehr oft werden geschnitzte Heiligenfiguren mitgetragen. In Orten, die über eine erfolgreiche Handwerksgeschichte verfügen, werden zudem gerne sogenannte Zunftstangen mitgetragen. Das sind an oftmals bemalten Stangen aufgesetzte, reich mit Ornamenten versehene, kunstvolle Schnitzfiguren, die aufwändig farbig gefasst oder vergoldet sind und meist die Schutzpatrone der einzelnen Zünfte darstellen, außerdem sind sie mit den entsprechenden Zunftzeichen bestückt. Weil die figürlichen Darstellungen immer Heilige aus dem reichen Kanon der katholischen Kirche sind, wurden sie im Volksmund gerne auch als „Stangerlsitzerheilige“ tituliert.

Zunftstangen als Ausdruck eines erstarkten Selbstbewusstseins

Im Fünfseenland findet man vor allem im Marienmünster in Dießen noch besonders schön gearbeitete Zunftstangen, die allesamt aus dem 18. Jahrhundert stammen. Dießen hat ja eine reiche Vergangenheit aufgrund seiner erfolgreichen Handwerksbetriebe, erhielt schon im Jahr 1326 dauerhafte Marktrechte von Kaiser Ludwig d. Bayern. Seit dem hohen Mittelalter organisierten sich die Handwerksbetriebe in den jeweiligen Zünften, um dadurch die Wahrung ihrer Interessen besser zu gewährleisten. Mit der Entstehung der Zünfte entwickelten die Handwerker ein gesteigertes Selbstbewusstsein. So entstanden die Zunftstangen, die bei Prozessionen als äußerer Ausdruck dieses neuen, starken Selbstverständnisses öffentlich gezeigt wurden.

Im Marienmünster sind sechs der ursprünglich sicher noch weit zahlreicheren Zunftstangen erhalten. Während des Jahres sind sie an den Kirchenbänken aufgestellt, zur Fronleichnamsprozession haben sie ihren großen Auftritt und werden zusätzlich zu den drei barocken Figuren der schmerzhaften, freudenreichen und glorreichen Muttergottes von Frauen und Männern des Heimat- und Trachtenvereins Dießen-St. Georgen bei der Prozession mitgeführt.

Die Stangen im Marienmünster zeigen den Hl. Michael mit dem Zunftzeichen der Metzgerinnung, den Hl. Rochus mit dem Abzeichen der Schneider, den Hl. Joachim als Patron der Schreiner, Gerber und Leinenhändler. Eine besonders aufwändig gestaltete Zunftstange zeigt den Erzengel Michael und darüber den Hl. Johannes von Nepomuk, gestiftet von der Zunft der Kaufhandelsleute. Besonders interessant sind zwei Stangen, die von Brauereien Dießens gestiftet wurden, wie die jeweiligen Zunftzeichen ausweisen. Eine Stange zeigt den Hl. Georg, der den Drachen tötet, die andere hingegen den Erzengel Michael, der Luzifer den Speer in den Körper stößt, datiert auf 1788. Beide Heilige, weder Michael noch Georg sind typische Patrone der Bierbrauer. Möglich wäre, dass konkurrierende Betriebe die Stangen haben anfertigen lassen, es gab ja über mehrere Jahrhunderte hinweg bis zu einem Dutzend Brauereien in Dießen und deshalb ein äußerlich sehr ähnliches Sujet zur Darstellung gewählt wurde.